ChessBase Magazin

Albins Gegengambit 10...Lc5!?

Ein verblüffendes neues Konzept !

Luc Henris analysiert ein hochaktuelles Abspiel in Albins Gegengambit

Nach 1.d4 d5 2.c4 e5 3.dxe5 d4 4.Sf3 Sc6 5.a3 Sge7 6.b4 Sg6 7.Lb2 a5! (ein wichtiger Zug, der b4-b5 erzwingt, bevor Schwarz den Bauern auf e5 zurückgewinnt, während er gleichzeitig den weißen Damenflügel schwächt und die Kontrolle über das wichtige c5-Feld für den Läufer auf f8 erhält) 8.b5 Scxe5 9.Sxe5 Sxe5 10.e3 erreichen wir eine ganz wichtige Stellung in einem der aktuellsten Abspiele in Albins Gegengambit:

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Hier lautet die übliche Fortsetzung 10...Le6 11.Lxd4 Sxc4 12.Dc2!? Sd6 13.Ld3 Dg5!?,

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was zu großen und faszinierenden Komplikationen führt.

Vor einigen Monaten stieß ich jedoch auf die Partie Fier,A - Da Silva Borges,R 1-0, in der Schwarz nach 10.e3 (statt des theoretischen 10...Le6) den sehr überraschenden Zug 10...Lc5!? spielte.

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Natürlich fragte ich mich, ob der Läuferzug nur ein schrecklicher Fehler war, der die Partie schnell verlieren sollte, nachdem Weiß mit 11.exd4 eine Figur gewinnt. Dann wurde mir klar, dass er ein völlig neues und unglaubliches Konzept für Schwarz einführt! Ich überprüfte auch, ob 10...Lc5!? schon einmal gespielt worden war, und entdeckte nur ein paar Internetpartien mit diesem Zug. Also begann ich meine Nachforschungen und verbrachte viele Stunden damit, die nach 10...Lc5!? entstehenden Stellungen zu analysieren, und entdeckte eine Menge erstaunlicher Varianten - die ich nun mit Ihnen teilen möchte!

Ausgehend von dem obigen Diagramm habe ich mein Material wie folgt aufgeteilt: A) 11.exd4, die offensichtlichste und verlockendste Fortsetzung für Weiß, B) 11.Lxd4, ein vorsichtigerer Ansatz, und schließlich Wartezüge wie C) 11.Le2 oder 11.h3.

A) 11.exd4

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Dieses Schlagen gewinnt letztlich eine Figur, führt aber auch zu wilden Komplikationen. Nach 11...Lg4 (dieser typische Angriff auf die weiße Dame ist die einzige Fortsetzung für Schwarz und heizt das Feuer noch zusätzlich an)

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kann Weiß wählen zwischen A1) 12.f3?, A2) 12.Dd2!? und A3) 12.Le2!?.

A1) 12.f3?

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Der Zug schafft gefährliche Schwächen in der weißen Stellung, die Schwarz unter Ausnutzung seines Entwicklungsvorteils energisch ausnutzen kann. 12... Dh4+!. Dieses Damenschach ist der schnellste Weg, um die weiße Stellung zum Einsturz zu bringen (12...Lxf3 scheint ebenfalls gut genug für Schwarz zu sein, siehe meine Analyse in Variation A11 - 11.ed4 Bg4 12.f3 Bf3 Line) 13.g3 Sxf3+!

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14.Kf2 (14.Dxf3 läuft in 14...De7+!) Df6! 15.dxc5 Sd4+ (oder 15... Se5+) und Schwarz gewinnt Haus und Hof, siehe Variation A12 - 11.ed4 Bg4 12.f3 Qh4 Line.

A2) 12.Dd2

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Weiß vermeidet es, den Königsflügel zu schwächen, aber auf d2 wird sich die Dame auch nicht als ideal platziert erweisen ... 12...Dh4!

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Der typische aktive Damenausfall von Schwarz in dieser Variante. 13.dxc5 (13.dxe5? Td8-+; 13.De3? 0-0-0-+) 13...Td8!

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und Schwarz holt sich die Dame d2 mit klarem Vorteil, nicht zuletzt aufgrund seiner überlegenen Entwicklung, siehe die Analysen in Variation A2 - 11.ed4 Bg4 12.Qd2 Line.

A3) 12.Le2!?

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Lädt Schwarz zur Vereinfachung ein, aber nach 12...Lxe2 stellt sich heraus, dass keiner der beiden Schlagzüge auf e2 ideal ist.

A31) 13.Kxe2

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Weiß will den d4-Bauern behalten, um eine Figur gewinnen, koste es, was es wolle! Aber der Preis ist wirklich zu hoch... 13...Dh4! (es geht wieder los!) 14.dxc5 (14.Te1? 0-0-0-+; 14.g3? De4+ 15.Kd2 0-0-0-+) 14...Dg4+!

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15. Ke1 Dxg2 und erneut hat Schwarz entscheidenden Vorteil: 16.Dd5 Sf3+ 17.Ke2 0-0! 18.Sc3 Tfe8-+. Man vergleiche meine folgende Analysen: Variation A31 - 11.ed4 Bg4 12.Be2 Be2 Line.

A32) 13.Dxe2

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Es ist klüger, den Bauern zurückzugeben, obwohl der Damenflügel von Weiß recht schwach bleibt.. 13...Lxd4 14.0-0 0-0!. Beabsichtigt ein Damenopfer. 14...Lxb2!? kommt auch in Betracht, wenngleich die Stellung nach 15.Dxb2 Dd6 16.f4!? ziemlich unklar wird. 15.Td1 (sowohl nach 15.Lxd4 Dxd4 16.Sxd2 Tfe8 als auch 15.Sc3 Sd3! 16.Tad1 Sxb2 17.Dxb2 Df6 18.Td3 Lc5 steht Schwarz einen Tick besser)

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15...Lxb2! 16.Txd8 Taxd8 17.Ta2 Tfe8! 18.Txb2 Sd3

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und Schwarz gewinnt die Dame zurück, mit einem ausgeprägten Endspielplus aufgrund der gut koordinierten Figuren und der weißen Damenflügelschwächen. Die Analysen dazu finden Sie in Variation A32 - 11.ed4 Bg4 12.Be2 Be2 Line.

B) 11.Lxd4!?

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Weiß ist nicht daran interessiert, in die gefährlichen Komplikationen zu geraten, die nach 11.exd4 folgen, und begnügt sich mit einem möglichen kleinen Vorteil. Schwarz muss nun aktiv agieren, um genügend Gegenspiel für den geopferten Bauern zu erhalten. Nach dem typischen Läuferausfall 11...Lg4 hat Weiß B1) 12.f3? and B) 12.Dd2!.

B1) 12.f3?

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Diese Schwächung des Königsflügels erweist sich wieder einmal als viel zu gefährlich. (Man beachte, dass im Fall von 12.Le2!? Schwarz mit 12...Lxe2 13.Kxe2 Lxd4 14.Dxd4 Dxd4 15.exd4 Sxc4 16.Tc1 Sd6 17.Txc7 Sb5! ausgleicht.) Es folgt 12...Dh4+! (oder auch 12...Lxf3!?) 13.Kd2 Lxd4 14.exd4

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14...Lxf3! 15.gxf3 Dxd4+ nebst 16...Dxa1 mit entscheidendem Vorteil. Weitere Analysen dazu in Variation B1 - 11.Bd4 Bg4 12.f3 (Be2) Line.

B2) 12.Dd2!

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Dieser Damenzug ist bei weitem der beste und wahrscheinlich der kritische Test für die ganze Variante! 12...De7 (12...Dd6 ist schwächer, denn nach 13.Sc3! zwingt die Drohung Se4 Schwarz zum Tausch auf d4) 13.Sc3 0-0-0 14.Sd5 Dd6.

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Wir haben eine sehr komplizierte Stellung erreicht. Schwarz hat Entwicklungsvorsprung. Aber ist das genug für den Bauern? Jetzt wären sowohl 15.Da5?! Lxd4 16.exd4 The8! 17.Kd2 Sd7! 18.f3 Lf5 als auch 15.h3?! Lf3! ziemlich unklar. Stattdessen sollte Weiß wählen zwischen 15.Lxc5!? Dxc5 16.Dxa5 und 15.Tc1!?, siehe meine Analysen in Variation B2 - 11.Bd4 Bg4 12.Qd2 Line.

Und schließlich kann Weiß nach 10...Lc5!? auch eine abwartende Haltung einnehmen, mit Zügen wie ...

C) 11.Le2 und 11.h3?!

C1) 11.Le2

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Dieser Entwicklungszug vermeidet das lästige ...Lg4 und bewahrt die Drohung, eine Figur zu gewinnen. Schwarz hat zwei interessante Fortsetzungen zu seiner Verfügung.

C11) 11...Le6!? erobert den Bauern c4 mit gutem Spiel, denn nach 12.exd4?! Sxc4 13.Lxc4 Lxc4

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sind Versuche von Weiß, einen Läufer zu fangen, zum Scheitern verurteilt: 14.Dc2 Dd5! und 14.dxc5? De7+ 15. Kd2 0-0-0+, siehe Variation C1 - 11.Be2 Line)

C12) 11...Dg5!?. Dieser aktive Zug führt zu großen Komplikationen. 12.exd4 (12.g3? verliert auf der Stelle nach 12...d3!-+) 12...Dxg2 13.Tf1 Lh3!.

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Droht ...Sf3+ und bereitet ...0-0-0 vor, womit Schwarz wieder prima steht, siehe Variation C1 - 11.Be2 Line.

C2) 11.h3?!

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Weiß verhindert jegliches ...Lg4. Aber diese Fortsetzung entwickelt nicht und ist einfach zu langsam. 11...Le6! 12.Lxd4 (das überehrgeizige 12.exd4? scheitert wie oben nach 12...Sxc4! 13.Lxc4 Lxc4 14.Dc2 De7+ etc.) Lxd4 13.Dxd4 (13.exd4? Df6! and 14.dxe5? läuft in 14...Dxe5+ nebst 15...Dxa1) Dxd4 14.exd4 Sxc4

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und Schwarz steht wegen des isolierten weißen Bauern im Zentrum eindeutig besser. Für Details siehe Variation C2 - 11.h3 Line.

Fazit: 10...Lc5!? führt zu fantastischen Stellungen, deren Analyse mir wirklich Spaß gemacht hat. In praktisch allen Varianten scheint Schwarz mehr oder weniger gut zu stehen, wobei die Taktik oftmals zu seinen Gunsten wirkt. Dies zeigt einmal mehr die erstaunlichen Ressourcen von Albins egengambit, und ich hoffe, dass dieser Artikel Sie dazu inspiriert, diese Eröffnung in Ihrer eigenen Praxis einzusetzen!