Geduldig wie Magnus Carlsen
von Jan Markos
Wer den eigenen Plan schneller als der Gegner durchzusetzen vermag, wird die Partie gewinnen. So lautet ein Mittelspielgrundsatz, den viele Schachspieler – vor allem im Vereinsschach – kennen und befolgen. Aber, so Jan Markos zu Beginn seines Beitrags, dieser Grundsatz ist nicht nur nicht die ganze Wahrheit, in vielen Stellungen ist es sogar geboten, sich nicht zu beeilen, sondern sich geduldig zu verhalten. Wenn sich das eigene Angriffspotential und die Verteidigungsressourcen des Gegners die Waage halten, ist es erforderlich, z. B. erst einmal zu manövrieren, um sich ein Übergewischt zu verschaffen.
Ein langsames Vorgehen hat zudem eine Reihe praktischer Vorteile, es übt z.B. psychologischen Druck auf den Gegner aus, der nicht weiß, wann Sie an die Umsetzung eines konkreten Plans gehen. Zudem kann das behutsame Manövrieren helfen, den richtigen Moment für ein aktives Vorgehen abzupassen. Und nicht zuletzt kann abwartendes Spiel Ihnen dabei helfen, sich einen Vorteil auf der Uhr zu verschaffen!
„Being patient is not as easy as it seems!“ Um Sie in die Kunst der Geduld einzuweihen, präsentiert Jan Markos zwei Fragmente von Magnus Carlsen – „one of the most patient players in the world“. Im ersten Beispiel aus Carlsen-Topalov (2018) ist Weiß am Zug.
Viele Spieler würden hier vermutlich versuchen, mit 24.h4 gefolgt von 25.Lh3 fortzusetzen, um irgendetwas Konkretes anzuzetteln. Und Carlsen? Der spielte 24.Kg1 – der Bauer auf f2 wird damit noch einmal überdeckt, aber ansonsten signalisierte Carlsen mit diesem Zug seinem Gegenüber „Du weißt nicht, was ich machen will, und Du kannst ja selbst gar nichts unternehmen.“ In seiner Videoanalyse zeigt Markos, dass es Topalov nicht gelang, in derselben geduldigen Art zu reagieren, und dass ihm sein Drang zu dynamischem Spiel in dieser Partie zum Verhängnis wurde. Im zweiten Beispiel aus Carlsen-Bu (2007) – ein Endspiel mit je einem Turm und ungleichfarbigen Läufern – nahm sich der Weltranglistenerste alle Zeit der Welt und fuhr nach 84 Zügen den vollen Punkt ein.
Kleine Aufgabensammlung
Testen Sie anhand der fünf folgenden Trainingsstellungen, wie weit Sie die Kunst des geduldigen Spiels bereits beherrschen!
Nach langem und geduldigem Manövrieren stand Carlsen in der 6. Partie seiner Partie gegen
Nepomniachtchi kurz vor dem Gewinn. Was sollte er spielen? Carlsen,M - Nepomniachtchi,I
Der letzte Zug von Weiß war 45.g4. Wie sollte Schwarz fortfahren? Kramnik,V - Carlsen,M
Was würden Sie als Weißer spielen? Carlsen,M - Aronian,L
Was sollte Weiß spielen? Carlsen,M - Nakamura,H
Wie sollte Weiß fortfahren? Carlsen,M - Kamsky,G